WG229 – Briefentwurf an Alma Mahler
Dresden, Freitag, 15. Dezember 1911
Dank
Über eins bin ich
froh, daß es Dir nicht
schlecht geht, wie ich
nach den letzten Nach-
richten annehmen mußte,
sondern daß Du angeregt
bist und den Kreis
von Menschen findest
der Dir sympathisch u
Deinen Fähigkeiten ent-
sprechend ist. und
keiner ist ich bedaure es
sehr tief, diese sicherlich
wertvollsten Anregungen
nicht mitzuerleben;
einen Du wirst da
einen \den/ geistigen Mittel-
punkt Wiens erschaffen
und mittelbar unter
durch Deine beglückende
Persönlichkeit das künstle-
rische Schaffen beeinflussen –
davon bin ich fest überzeugt.
Gieb Dich nur nicht
zu sehr aus und sei
übersparsam mit Deinen
Kräften. Du sprühst
wieder \in jedem Brief/ mit einer fast
ekstatischen \exaltierten/ Sehnsucht
vom Vorwärts – Weiter –
(was wir ja sicherlich nicht
müssen, sondern auch
wollen) daß es mir
klingt als überschriest
Du irgend etwas, was
Dich ängstigt und
Dir\ch/ keine Ruhe läßt.
Eins ist jedenfalls
sicher mir ruhelos
erscheinen läßt. Eines
\Sicher/ ist: Intensität
ist nicht identisch mit
unbeschaulicher Hast,
mit betriebsamem
Alleserfaßenwollen.
Ich will Dir aber nicht
Unrecht tun, Du hast
mich ein bischen zu
wenig über Dich orientiert
in der letzten Zeit – es
ist nur so eine Idee
von mir;
Aber hoffen wir, daß sich
bald jeder Alp von
Deiner Brust lösent
möge
Werde ich Dich nun
in den nächsten Tagen
sehn? Ich hoffe es
von Herzen, denn wie
ich Dir schon telegrafierte
bin ich nach dem Fest
durch neue Aufträge,
die mir z.[um] T.[eil] längst
ersehntes erfüllen sollen
gebunden. Aber nach
den mancherlei Hin-
dernissen wollen
wir uns doch sehn?
Falls es Dir besser
paßt kann ich auch
Mittwoch u Donnerstag,
in Wien sein, müßte
aber Freitag früh in
mein Atelier um noch
vor dem Fest liegen ge-
bliebene Arbeit zu erledigen
Bitte telegrafiere \in jedem/ Falle
gleich / nicht im letzten
Augenblick;
Heute war ich in
Dresden in den Galerien.
Vor der er-
faßt mich jedesmal
eine förmliche Ekstase
Ich stelle dieses\n/ Werk \Bau/
neben die allergrößten
Kunstwerke die ich
je gesehn. Jedes Profil,
jede Stufe \für sich betr[achtet]/ ist durchaus
\u unverkennbar/ .
Ihr Erbauer war Itali-
ener, ein Deutscher
hätte sie nicht zustande
gebracht.
Apparat
Überlieferung
, , , , , , , , , .
Quellenbeschreibung
5 Bl. (5 b. S.) – Notizblock.
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
Antwort auf AM125 vom 14. Dezember 1911 (ein ewiges Weiter – Forwärts [!] –– nur so lasse[.] ich das Leben gelten): Du sprühst […] \in jedem Brief/ mit einer fast […] \exaltierten/ Sehnsucht vom Vorwärts – Weiter.
Datierung
WG229 entstand, wie der Telegrammentwurf WG228, als Reaktion auf AM125 vom 14. Dezember 1911, stellt jedoch den Entwurf für eine Briefantwort dar, die auf das Telegramm folgen sollte. Es ist anzunehmen, dass WG auch diesen Briefentwurf umgehend nach Erhalt von AM125 verfasste, da dieser die erste Briefantwort seit knapp drei Wochen darstellte, weshalb als Datierung der 15. Dezember 1911, das Eingangsdatum von AM125 bei einer Postlaufzeit von einem Tag zwischen Wien und Dresden, angenommen wird.
Übertragung/Mitarbeit
(Elke Steinhauser)
telegrafierte – s. WG228 vom 15. Dezember 1911.
neue Aufträge – s. WG223 vom 27. November 1911: Aufträgen.
Galerien – Dresdner Gemäldegalerie im Semperbau des Zwingers. Bis 1931 wurden sowohl die Sammlung der Alten Meister als auch die moderne Abteilung in diesem Gebäude gezeigt.
Hofkirche – katholische Hofkirche in Dresden, erbaut von 1739 bis 1755 nach Plänen des Architekten .